Hoch-Tirol – 6 Tage in 27 Stunden

Eigentlich ist die Hoch-Tirol eine 6-Tages Ski-Durchquerung von Kasern im Ahrntal/Südtirol bis zum höchsten Berg Österreichs, dem Großglockner (3.798m). Von Hütte zu Hütte, jeden Tag ein neuer Gipfel in beeindruckender Landschaft. Zahlreiche Hütten erlauben entspannte Tourentage in atemberaubender Landschaft. Dazu Feinschmecker Kaffee und Apfelstrudel oder Bier und Suppe in der Sonne. Diese Mehrtages-Bilderbuchtour könnte ebenso entspannt wie schön sein.

Könnte, wohlgemerkt. Nicht jedoch wenn ein Sportler vom Kaliber Philipp Reiters sich des Projekts annimmt. Denn schon auf dem „Langen Weg“ vor 2 Jahren von Wien nach Nizza hat Philipp Reiter das Großvenediger-Großglockner-Gebiet sprichwörtlich er-leben können und ist auf genau diese Tour aufmerksam geworden. Als er dann letzten Herbst seinen französischen Freund Francois d’Haene zu seinen Winterplänen befragt kam die Hoch-Tirol Tour als Eintages-Extrem-Aktion zur Sprache. Ohne zu zögern hat Francois zu diesem Abenteuer Ja gesagt: „Great, I come with you!“

Start frei!

Parkplatz Naturparkhaus Kasern/Südtirol 9:20 Uhr – es geht los! Eigentlich war der Start für 8:30 geplant, aber es regnet. Der zweite Kaffee in der Bäckerei ist einfach zu verlockend und die Pinkelpause sowieso obligatorisch. Der erste Teil der Tour führt uns über zwei Pässe bis zur Essener-Rostocker Hütte. Es stürmt gewaltig, es ist kalt, die Sicht ist gleich null. Uns ist klar: Wenn das so weitergeht haben wir uns mit dem Zeitplan grob verkalkuliert. “Wie schaut es mit einer heißen Suppe in der Hütte aus?“ „Looogisch, da sind wir dabei!“ Aus einer kleinen Suppe wird Pasta und mit dem anschliessenden Kaffee dauerte die kurze Pause dann fast ein volle Stunde. „Naja, egal, dann gehen wir eben schneller“, kommentiert Francois trocken. Auf dem 1.200m+ Anstieg zum Großen Geiger (3.360m) begleiteten uns 3 Freunde, was das windige Unterfangen am Gipfel deutlich erleichtert.

Das erste Abendlicht

Auch im Hochgebirge hat es aktuell viel zu wenig Schnee und so müssen wir bei der Abfahrt zur Johannishütte oft „hochtreteln“, das ist mühsam und zeitraubend. Bei der Hütte angekommen trennen sich die Wege der größeren Gruppe – Francois und ich nehmen den über 1.500m hohen Aufstieg zum Großvenediger (3.657m) wieder allein in Angriff.

Dabei merken wir schnell, dass das letzte Sonnenlicht schneller die uns umgebenden Felswände hinauf zieht, als wir auf den Spitzkehren folgen. Unseren Plan, im letzten Licht des Tages am Venediger zu stehen geht nicht auf: Wir sind bereits zu spät dran, bzw. es wird schneller dunkel als gedacht. Heisst in der Konsequenz: Stirnlampen anschalten und dankbar sein, dass die Gletscherspalten nach dem Defreggerhaus aktuell keine Gefahr darstellen. Zum Glück hatte ich mir diesen Teil der Route eine Woche vorher bereits angesehen. Das gibt uns jetzt Sicherheit und mindert die Absturzgefahr. Im Stockdunkeln stehen wir später auf 3.657m und starren in die uns umgebende Finsternis: Komplette Stille und kilometerweit einfach nichts. Kurz darauf fahren wir In schnellen Schwüngen die gefrorenen Hänge ab- Resultat eines sonnigen Nachmittags.

Halbzeit

Im weiteren Verlauf der Abfahrt wird der Schnee zunehmend „faul“ und wir brechen zum Teil bis zu den Knien ein. Das kostet erneut wertvolle Kraft. Die Uhr zeigt 11,5 h Bewegungszeit und 4.700m+ an, als wir im Matreier Tauernhaus einfahren.

Halbzeitpause. Endlich.

Es gibt Tiroler Knödelsuppe und Kaiserschmarrn. Unsere geniale Crew feiert ein wenig, während wir uns umziehen und uns 30min Pause in der Horizontalen gönnen. Der zweite Start erfolgt dann gegen 22:30. Meine Beine tun weh, ich bin müde und hab keine Ahnung wie ich die nächsten 5.000m+ schaffen soll. Naja, wird schon irgendwie klappen, einfach einen Fuß vor den anderen setzen und Meter für Meter hinter mich bringen. Francois dagegen scheint gute Dinge, zumindest besserer als ich.

Night Rider

Uns umgibt eine kalte und klare Nacht. Doch anstatt die Sterne am klaren Nachthimmel zur Navigation zu nutzen, orientieren wir uns an der blauen Linie auf der Uhr, der wir im Dunkeln wie eine Magnetnadel folgen. Wir schrauben uns in unendlichen Spitzkehren den nächsten Berg hinauf. Wie der heißt? Keine Ahnung, einfach weiter, immer voran. Die Abfahrten bleiben spannend: zwischen schroffen Felsen, teilweise extrem steil, gerade so dass wir den Eispickel noch nicht zum Einsatz bringen. Zum Glück ist auch hier alles gefroren und wir brauchen uns um die Lawinengefahr keine Sorgen zu machen. Meine Beine werden immer schwerer und ich schlage eine Pause und kurzen Power-Nap auf der Rudolfshütte vor. Um 3 Uhr früh finden wir einen Eingang (wie verrate ich nicht) und legen uns einfach zwischen alten Pommes, abgebissenen Würsteln und ich-will-es-eigentlich-nicht-wissen Zeugs auf den Restaurantboden – so fertig sind wir! Nach ein paar Minuten aber mit dem Gefühl wenigstens in der Nacht ein bisschen geschlafen zu haben geht es weiter – auf den technisch anspruchsvollsten Teil der Route.

Morgengrauen

Die Beine brennen, mein Bauch schmerzt. Mein Magen rebelliert und ich schaffe es nicht mehr zu Essen. Im ersten Morgengrauen legen wir dann die Steigeisen an, mittlerweile haben wir schon 8.000m+ auf der Uhr, so viel hatte ich noch nie in meinem Leben am Stück gemacht.

Wir umfahren den Johannisberg und nehmen die vorletzte große Hürde in Angriff – den Grat auf die Romariswandköpfe, eine Kletterei im 3./4. Schwierigkeitsgrad und das komplett übermüdet. Jetzt ist Konzentration gefragt, denn es ist der einzige Übergang zum Großglockner!

Ziel in Sicht

Ich bin mittlerweile extrem „Banane“: Ich gehe 10 Schritte und lasse mich dann in die Stecken fallen, schaue hoch und frage mich wieso der Gipfel eigentlich nicht näher kommt. Diesen Vorgang werde ich in den kommenden Stunden gebetsmühlenhaft wiederholen. Im Nachhinein ist es ein spannendes Experiment wie der Kopf den Körper überlisten kann obwohl er sich mit allem was er zur Verfügung hat wehrt auch nur einen einzigen Schritt weiter zu gehen.

Schliesslich wieder eine windgepresste ruppige Abfahrt, der finale Übergang zum „Glocknergletscher“ und die letzten Meter hinauf zur Adlersruhe wo unsere Crew schon auf uns wartet. Am liebsten will ich einfach hier sitzen bleiben, aber ich kann ja nicht 26h unterwegs sein und dann so kurz vor dem Ziel aufgeben. Also noch ein letztes Mal die Steigeisen anziehen und die letzten 300m in Angriff nehmen. Lächerlich wenig und doch unendlich weit.

Am Ende bin ich heilfroh als wir endlich am 3.798m hohen Gipfel ankommen: Geschafft! Geschafft? Leider noch nicht ganz: Die Abfahrt im totalen Whiteout war am Ende das Sahnehäubchen eines irren Abenteuers im österreichischen Hochgebirge.

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