"Bikepacking ist die beste Methode neue Orte zu entdecken - die Reisegeschwindigkeit, die Gelegenheit interessante Dinge in deiner Umgebung im Detail wahrzunehmen und die Chance unterwegs Land und Leute kennenzulernen. Unabhängig zu sein, bedeutet, dass du in der Lage bist, einfach in die Wildnis loszuziehen und dich überraschen zu lassen, welche Abenteuer dich dort erwarten. Du weißt nie genau, was passiert und welche Erlebnisse der Tag mit sich bringt." - Marion Shoote
Es ist nicht einfach, echte Abenteuer in einer Welt zu finden, in der uns unsere tägliche Routine häufig an die gleichen Orte bringt und wo mediale Trends uns oft dazu verleiten, mit dem Strom zu schwimmen. Einzigartige Erfahrungen, jenseits dieser Erlebniswelt, werden auf diese Weise immer seltener. Genau aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen, gemeinsam mit den erfahrenen Bikepackern Ed und Marion Shoote eine einzigartige Reise anzutreten: mit dem Rad über Schotter- und Naturpisten, quer durch Teile Kasachstans, Chinas, der Mongolei und Russlands. Jenseits von Instagram Hotspots, Reisekatalogen und Hochglanzartikeln, bereit uns überraschen zu lassen von dem, was uns vor Ort erwartet. Denn: Abenteuer zu erleben heißt auch, Überraschungen, unerwartete Wendungen und ungeplante Situationen zu akzeptieren - und was das bedeutet kann, sollten wir schon bald in Form von Bären, reißenden Flüssen, legendären Adlerjägern und noch einigem mehr selbst erleben.
Bikepacking im Altai-Gebirge
Der „Österreichweg“
Unsere Reise begann im Osten Kasachstans, auf einer Straße, die als „Österreichweg“ bekannt ist. Die steinige Schotterpiste über den in 2100 Meter Höhe gelegenen Burkkatskiy-Pass wurde von Österreichisch-Ungarischen Kriegsgefangenen im Jahr 1915 mit nicht viel mehr als Spitzhacke und Schaufel gebaut, inklusive fünf Brücken über den eiskalten Gletscherfluss Kara Koba. Die Straße wird nicht mehr aktiv benutzt, seit eine geteerte Straße um die Berge herum gebaut wurde - aber es ist immer noch die beste Strecke durch den abgelegenen, aber unglaublich schönen Nationalpark Katon Karagay hin zum Markakol-See.


Der Park selbst liegt in einer sensiblen Grenzregion und es bedarf einer speziellen Genehmigung, um die Kontrollstation zu passieren. Während einer der Wächter unsere Papiere kontrollierte, erkundigten wir uns bei einem zweiten Beamten über die Befahrbarkeit der Brücken entlang der Strecke. Die Antwort war nicht sehr ermutigend: "Nyet. Die meisten sind unpassierbar oder schlicht zusammengefallen". Er hielt seine Hand auf Höhe seiner Brust, um uns die ungefähre Flusstiefe zu beschreiben. Wir mussten spontan entscheiden, ob wir einen 400 Kilometer langen Umweg auf der neuen Straße in Kauf nehmen, oder eine Reise ins Ungewisse antreten, in der Hoffnung, dass es andere Möglichkeiten gab, den Fluss zu überqueren. Die Wahl viel uns einfach: Wir dankten den Beamten für ihre Hilfe und machten uns auf den Weg, herauszufinden, was vor uns lag.
“Unerwartete Herausforderungen auf einem Trip wie diesem, stellen deine Beharrlichkeit wirklich auf die Probe. Du musst in der Lage sein, bestimmte Situationen einfach so zu akzeptieren, wie sie sind, dass sie dazugehören und einfach weiter fahren." – Ed Shoote



Wir erreichten die erste Brücke, etwas aufgeregt angesichts der vor uns liegenden Herausforderung, wohl wissend, dass die Überquerung möglicherweise gefährlich und zeitaufwendig sein könnte. Das Wasser war tatsächlich tiefer und Strömung stärker als wir erhofft hatten. Es war eine Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung, als wir kurze Zeit später herausfanden, dass ein Bauarbeitertrupp nur wenige Tage zuvor mithilfe eines Krans und gefällter Bäume alle Brücken zumindest provisorisch wieder befahrbar gemacht hatte. Die Spuren des Krans waren noch frisch im Untergrund zu sehen, das Lager, in dem die Bauarbeiter gewohnt hatten, stand noch, die Arbeiter hatten jedoch bereits die Gegend verlassen.



Kontrastprogramm
"In der Wüste war der Wind wirklich extrem. Ich hab ständig das GPS angestarrt und mich gewundert, warum wir im Schnitt nur 9 km/h fahren." - Ed Shoote
Um nach China zu kommen, mussten wir eine Route nehmen, die uns in Richtung Süden, heraus aus den Bergen zu einem Grenzübergang führte, der in einer zum größten Teil unbewohnten Wüstenregion des Landes liegt. Der Unterschied zwischen der üppigen, grünen Berglandschaft Kasachstans und der nur wenigen Kilometer entfernten Wüstenlandschaft in China, war wirklich krass. Eine breite, brandneue Straße führte fast den gesamten Weg durch diese heiße, unwirtliche Landschaft. Ohne jede Vegetation, oder Schutz, blies der Wind kontinuierlich Sand in unser Gesicht und machte unser Fortkommen beschwerlich, frustrierend und sehr langsam.
"Ich bin noch nie bei 40 Grad Hitze den ganzen Tag Rad gefahren - ich war sogar froh über den peitschenden Gegenwind, der die Hitze zumindest etwas erträglicher machte. Es ist etwas beklemmend, genau zu wissen, dass der nächste Ort mit Wasser 80 Kilometer vor dir liegt. Die Landschaft war wunderschön, aber in seiner Ursprünglichkeit schon fast einschüchternd: keine Wasserflüsse, keine Vegetation, nur Stein und Kies, soweit das Auge reichte." - Marion Shoote

China zu durchqueren war nicht nur ein Kampf gegen die Elemente, sondern auch gegen die Bürokratie. Orte sind wirklich weit voneinander entfernt, aber jeder Halt in einem Ort bedeutete Passkontrollen und Fragen der örtlichen Polizei, die oft schon auf uns wartete. Ihr Interesse war zwar meist guter Natur und sie schienen mehr neugierig, als misstrauisch zu sein, aber es war eine deutliche Erinnerung daran, dass wir eine sensible Region durchqueren und vermittelte uns das ungute Gefühl, ständig überwacht zu werden.



An unserem letzten Tag in China erreichten wir die mongolische Grenze. Als wir die Schnellstraße verließen, stand die Sonne niedriger am Horizont als die Regenwolken über ihr und so kamen wir in den Genuss eines wunderschönen Regenbogen vor der goldenen Abendsonne. Wir empfanden dies als gutes Omen, vor dem härtesten Teil der Strecke, der jetzt direkt vor uns lag. Wir verbrachten die Nacht in einem Zelt, dass einem kasachischen Farmer gehörte und konnten darin deutlich die vorbeidonnernden Laster hören, die auf derselben stark befahrenen Straße fuhren, von der wir gerade gekommen waren. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass dieser Teil der Strecke nun hinter uns lag.

Mongolei
Die geteerten Straßen endeten nur wenige Kilometer hinter der mongolischen Grenze. Die meisten Straßen in diesem Land sind nichts als einfache Wege, die im Laufe der Zeit ihre Spuren im Boden hinterlassen haben und es sollte eine Woche vergehen, bevor wir wieder eine asphaltierte Straße sehen würden. Vor uns lagen 500 km Naturpiste: scharfkantiger Fels, Schotter, Sand, Schlamm und Berg- und Talfahrt im Hochgebirge. In einigen Abschnitten war der Weg kilometerlang von Bodenwellen gesäumt, entstanden durch ständiges Bremsen und Gasgeben der Fahrzeuge auf dem harten Schotter. Häufigkeit und Tiefe machen es nahezu unmöglich diese Abschnitte normal und angenehm zu fahren. Alles, was du wirklich machen kannst, ist weiterzufahren und zu hoffen, dass bald wieder ein besserer Streckenabschnitt kommt.
"Wir hatten einige wirklich harte Tage in der Mongolei. Stundenlange Fahrten entlang holpriger, sandiger und steiniger Wege, die Augen ständig nach unten gerichtet um nicht zu stürzen. Aber wenn es zu unerträglich wurde, musste ich nur kurz den Kopf aufrichten und diese unglaubliche Landschaft und seine endlosen Horizonte in mich einsaugen, um all meine Qualen zu vergessen." - Marion Shoote

Die Einsamkeit in diesem Teil der Mongolei, das Gefühl so weit weg von jeglicher Zivilisation zu sein, war eine beeindruckende, tief greifende Erfahrung. Die einzigen Augen, die dich zeitweise anstarrten, gehörten Tieren, die sich entlang der Strecke in den Hügeln versteckten - und die häufiger zu sehenden Spuren von Bären und Wölfen erinnerten uns daran, dass nicht alles Tierleben dort friedlich gesinnt ist.






Auf unserem Weg zum höchsten Pass der Strecke campierten wir in immer entlegeneren Gebieten. Wasser wurde zunehmend knapper und so begannen wir, selbst die kleinsten Mengen fließendes Wasser die wir fanden, zu trinken und dazu zu verwenden, das Essen zu kochen, das wir mitgebracht hatten. Unsere Nächte waren oft kurz, geprägt von unruhigem Schlaf. Die Wildnis ist nachts unglaublich still, und wenn draußen vor dem Zelt etwas plötzlich raschelt, oder sich Schatten zwischen Zelt und Mond abzeichnen, geht dein Puls automatisch hoch und einschlafen, oder gar ruhig zu schlafen fällt einem dann wirklich schwer.
"Eine Nacht, nach dem wir den letzten Ort bereits vor Tagen hinter uns gelassen hatten, befanden wir uns vollkommen alleine in einem weit abgelegenen Tal. Als die Sonne unterging und der Wind aufhörte zu wehen, nahm uns die überwältigende Stille und Friedfertigkeit der majestätischen Berge um uns herum vollkommen ein. In dieser Nacht standen unsere winzigen Zelte unter einem gigantischen Sternenhimmel und einer hell leuchtenden Milchstraße. Du fühlst dich plötzlich klein und alleine, inmitten dieser riesigen, kargen Landschaft, es war wirklich ein tief greifendes, spirituelles Erlebnis." - Marion Shoote




Kasachische Adlerjäger
Für die Kasachen in der Westmongolei ist die Adlerjagd eine wichtige Tradition, mit einer über 4000 Jahre alten Geschichte. Sie trainieren ihre Vögel speziell für die Jagd auf Felle und Fleisch im Winter - und um bei Festivals und Wettkämpfen quer durch Zentralasien teilzunehmen. Die Adlerjäger zu finden, die das ganze Jahr über als Nomaden leben, war nicht einfach, da ihre Sommerlager oft in sehr abgelegenen Gebieten liegen. In den letzten Tagen vor unserer Abreise aus dem Land wurde unsere Suche nach viel herumfragen doch noch belohnt und wir hatten die Gelegenheit, diese außergewöhnlichen Menschen persönlich zu erleben.



Von den Bergen hinunter getrieben
Nach zwei unglaublich heißen Wochen erreichten uns vollkommen unerwartet die ersten Vorboten des brutalen mongolischen Winters. Ein bitterkalter Nordwind mit Schneegestöber bedeckte die Berggipfel rundum in kürzester Zeit mit einer Schneeschicht. Die Temperatur fiel nach dem Sonnenuntergang rasant und um uns vor dem eisigen Wind zu schützen, suchten wir in unserer letzten Nacht in der Mongolei Zuflucht hinter einer Jurte. Der Kaminrauch blies direkt in unsere Zelte, während draußen Yaks grunzten und herumschnüffelten. Es war an der Zeit die Berge hinter uns zu lassen, genauso wie die Nomaden, die anfingen, ihre Laster und Pferde mit ihren Habseligkeiten zu beladen und Vieh in Winterquartiere zu bringen. Es war ein passendes Ende für unser Abenteuer durch ein Land der unendlichen Weiten und atemberaubender Schönheit.
"In jedem Land Menschen zu begegnen und ihren Alltag zumindest ein klein wenig zu erleben, haben diese Reise wirklich zu etwas ganz besonderem gemacht. Ich muss auch oft daran denken, wie viel wir selbst zu Hause haben und wie viel davon wir bereit sind einfach mit wildfremden Menschen zu teilen." - Marion Shoote




Abfahrt aus dem Gebirge nach Russland
Die russische Grenze befindet sich auf einem Passgipfel auf 2500 Meter Höhe und der bitterkalte Wind, der um uns blies, machte den Übergang zu einem wirklich trostlosen Ort. Wir drängten uns so nah wie uns erlaubt an die geheizten Hütten der Grenzpolizisten und hielten uns, so lange wie nur irgendwie möglich, im Zollgebäude auf. Gottseidank interessierten sich die russischen Beamten weder für uns, noch unsere Räder und ließen uns ohne weitere Durchsuchung passieren. Nach dem Überqueren des letzten Grenzübergangs unserer Reise, ging es auf diesem finalen Teil der Strecke nur noch bergabwärts, hinein bis in die Stadt Aktash, wo wir eine Mitfahrgelegenheit zum Flughafen fanden. Die schneebedeckten Gipfel, die während der Abfahrt aus den Bergen über uns thronten, bildeten auf den letzten Tagen der Tour einen spektakulären Abschluss und veranschaulichten nochmals die ganze Dimension des Altai-Gebirges, welches wir gerade erfolgreich durchquert hatten.
Als die mongolische Hochsteppe hinter uns verschwand und langsam in das vertraute alpine Gelände der russischen Berge überging, begann ich fast unmittelbar die Welt auf der anderen Seite der Grenze, die wir gerade uns gelassen hatten, zu vermissen. Nahezu zu schnell hatte sich die Umgebung verwandelt. Mit der Rückkehr von Gebäuden, Straßen und Menschen verschwand das besondere Gefühl, das die Mongolei und seine wunderbare Natur uns durchgehend vermittelte. Aber es war auch beruhigend, vertrautes, warmes Essen zu finden. Unser erster Halt nach der Grenze war ein Café, in dem wir uns mit Käsetaschen vollstopften und zuckrigen Kaffee in vollen Zügen genossen.

Eine vertraute Umgebung zu verlassen, um etwas komplett anderes zu machen, kann einige Schwierigkeiten mit sich bringen. Knochenharter Boden, Mangel an ordentlichem Essen und lange, kalte Nächte können schon nach wenigen Tagen anfangen dich zu zermürben. Abseits normaler Straßen zu fahren bringt zudem den mentalen Stress mit sich, ständig das Fahrrad aufrecht zu halten und auf der Hut sein zu müssen, nicht den nächsten größeren Steinbrocken zu übersehen, der garantiert in einem Sturz endet.
Nach einigen Wochen auf dem Rad fängt jeder Tag jedoch mit einer gewissen Routine an. Es fühlt sich normal an, draußen zu sein, auf dem Boden zu sitzen und jeden Tag aufs Rad zu steigen. Ingesamt betrachtet, sind diese Arten von Unannehmlichkeiten eher gering im Vergleich zu der täglichen Herausforderung, das nächste Quartier oder Essen zu organisieren und herauszufinden, wo die nächste Flussüberquerung ist. Der Drang danach, weiterzumachen und herauszufinden, was dich hinter der nächsten Hügelkette erwartet, ist stärker, als jedes Gefühl von Unannehmlichkeit - und im Laufe der Zeit gewöhnt sich dein Körper an die neuen Umstände.
